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Tommy Roberts jr. läuft 700 Kilometer nach Berlin
Im August beschlossen TJ und sein Dad:
Wir laufen am 19. September zu Fuß von Kempten nach Berlin - für einen Job.
Nach sechs Wochen und 700 Kilometern werden sie bei Universal Music klingeln,
um deren Unternehmensphilosophie beim Wort zu nehmen:
„Wir müssen und wollen neue Rahmenbedingungen schaffen, um uns weiterhin auf das konzentrieren zu können, worum es uns vor allem anderen geht: Musik.
Mehr als jemals zuvor setzen wir auf junge Künstler, die der Musik neue Impulse geben.
Zukunft wird gemacht. Und wir machen das jetzt.“ (Zitat Universal Music)14 Seiten: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 » Noch eine Woche – plötzlich ist Berlin so nah.
So., 23. Oktober '05 - Tausend Gedanken im Kopf Sorry, dass ich mich jetzt erste melde – war Freitag zu erschlagen, mußte erst einmal meine Gedanken sammeln, die mit jedem Schritt mehr werden, in meinem Kopf schwirren und sich um „meine“ Hauptstadt Berlin drehen. Tausend Fragen: Sind die Postkarten bei Universal angekommen? Was wird in Berlin passieren? Wer kommt alles und läuft die letzten Kilometer mit? Die Harley-Freunde mit befreundeten Clubs und andere haben sich ja angekündigt, und ich habe jetzt schon – nicht nur beim Motorsound – Gänsehaut. Fans – und ich sage schon immer lieber: Freunde haben von Bremen oder Nürnberg aus Flüge nach Berlin gebucht, der Campingplatz in Berlin, an dem sich alle mit uns treffen wollen, ist seit Freitag ausgebucht. Manchmal – wenn ich ehrlich bin – bin ich nicht nur „stolz“ auf Euch wie auf den Medienrummel: Wenn ich höre und lese, wieviele in Berlin warten, wenn täglich auf meiner Website viele hunderte von Besuchern sind, wird’s schon schwer auf meinen Schultern. Es war vor fünf Wochen so einfach, mal loszulaufen. Doch es ist nach all den Wochen quer durch Deutschland mehr daraus geworden, als ich jemals eingeschätzt hatte. Die vielen Augen im Rücken, die beiden Nominierungen – ich werde zum „öffentlichen Mensch“, wie mal ein Schauspieler sagte. Dads Erfahrungen, als er noch mit den Großen spielte, bevor er mit mir „kleinem“ auf die Bühne ging, sind da gute Medizin. Aber von anderen höre ich weniger, und wieder andere schicken verächtliche Mails. Bis dahin, dass eine Country-Website meinte, dass „fanatische Fans nerven“ und das Thema deswegen „erst mal vom Tisch ist“. (Ich habe keine „fanatischen“ Fans! Und ich weiß, dass sie nur ins Gästebuch schrieben, wie klasse es ist, dass ich nach Berlin laufe. Aber alle ihre Einträge wurden gelöscht. Kommentarlos.) Auch egal, meine ersten Erfahrungen mit Mißgunst durfte ich schon mit elf Jahren machen, als Mum einen Bus nach Füssen organisierte, wo ich auf dem König Ludwig Musical den Prinz Otto spielte. Freunde hatten gefragt – aber plötzlich hielt uns das halbe Dorf für „überkandidelt“, „oberwichtig“ und „abgehoben“. Wegen einem Bus für ein paar 30 Kilometer? Aber deswegen berührt mich heute soetwas nicht mehr. Denn was sollte es mir ausmachen, bei all den wahren Freunden, die sich fast täglich melden, und bei all dem, was ich diese Wochen erleben darf: Ich sehe dieses Land durch meinen Lauf in anderen, in bunten Farben – statt in jenem Schwarzweiß aus den Medien über das „Jammertal Deutschland“. Wer kann schon erzählen von 700 Kilometern Schritt für Schritt quer durch Deutschland? Und das in meinem Alter? Und mit diesen Freunden und dieser Familie? Das sind die Gründe, die Gitarre niemals in die Ecke zu schmeißen. Seit knapp drei Wochen bin ich 18 und habe meinen Führerschein (und laufe zu Fuß..., ich glaubs nicht...), aber derzeit überlege ich nicht, z.B. nach Italien oder Spanien zu fahren. Ich denke, ich fahre nächstes Jahr im Sommer die Strecke mit Freunden nochmal ab, werde Hände schütteln mit all den Menschen, die ich getroffen habe, und um hier und dort mit weniger Zeitdruck nochmal genauer hinschauen (z.B. die Nikolaikirche in Leipzig). Wie sagte Mumneulich in einem TV-Interview? „Früher war es immer die Gastfreundschaft im Süden, die wir so lobten. Aber genau die erfahre ich plötzlich im eigenen Land.“ Tja, vielleicht sind wir alle lieber, fröhlicher und offener, als wir uns selbst zutrauen. So, das bin ich nun losgeworden – und kann ich später erleichtert ab ins Bettchen. Ich hoffe, Ihr versteht das und schickt mir nicht einen Psychologen nach Berlin... Bis bald! "Der Glaube versetzt Berge, der Zweifel erklettert sie." - Karl Heinrich Waggerl Das Schicksal nimmt seinen Lauf...
Do., 20. Oktober '05 - Wohin führt der Weg?Wenn die Sonne scheint, sagt man immer, ..wenn Engel reisen, aber ich sage, ...wenn Engel einen begleiten. Eure Emails zeigen immer, wie sehr ihr alle ganz nah bei uns seid - und diesen Kick brauchen wir gerade jetzt dringend. Als wir in der ersten Woche unterwegs waren, meinten wir, die ersten zwei Wochen sind wahrscheinlich die schlimmsten, und dann geht es von allein. Aber jetzt muss ich sagen, so langsam ist die Luft raus, die Kräfte schwinden merklich und die Regeneration, besonders nach den Gigs am Wochenende, braucht immer länger. Wir gingen durch Täler, überschritten Höhen, und es ist wie im richtigen Leben – Höhen und Tiefen. Beim Laufen frage ich mich manchmal, liegt Universal Music im Tal, oder auf einem Weg zu einer unbestimmten Höhe? So langsam kriege ich weiche Knie bei dem Gedanken. Ich glaube, jeder kennt das Gefühl, man macht einen Termin beim Zahnarzt, und je näher der kommt, um so mulmiger wird einem. Schön, dass meine ganze Familie dabei ist, so bin ich doch oft abgelenkt von meinen Gedanken, wenn man in sich gekehrt quer durch Deutschland vor sich hinläuft. Heute sind wir in Bad Düben angelangt, ein sehr schöner Ort hinter Leipzig. Der Vormittag war wieder mal spannend, denn ein Kamerateam von Leipzig Fernsehen drehte eine Reportage über uns. Da fast ganz Leipzig momentan eine Baustelle ist, drehten wir außerhalb, am Winneberg. Das Team arbeitete sehr professionell, und kurz nach Mittag war alles „im Kasten“, und wir machten uns wieder auf den Weg (und hätten uns bei der Beschilderung - Foto - fast verlaufen... alle Wege führen nach... Rom??? Berlin???). In Bad Düben fanden wir das wunderschöne Country Lokal "Goldgräber", und bei guter Musik ließen wir den Abend bei erstklassigen Spare Ribs und Wedges ausklingen. Sorry, dass ich heute nicht so viel schreibe, aber ich bin hundemüde (wie Julchen) und hau mich jetzt ins Bett. Morgen ist der letzte Lauftag in dieser Woche, und wir freuen uns schon auf den Gig am Wochenende in Scharfenberg, denn Musik ist einfach das, wofür ich geboren bin. Seid alle umarmt da draußen! Es ist gut, wenn man an Berge kommt. Man bietet dann die Kraft auf, sie zu übersteigen. - Paul Johann Anselm Feuerbach Glücksbringer und Leipziger Allerlei
Mi., 19. Oktober '05 - In der Stadt der MontagsdemonstrationenWieder ein Tag – aber ein Tag wie jeder andere? Mitnichten!, Carpe Diem - nutze den Tag, so kann ich es nur beschreiben. Sonne pur und ein Traumhafter Weg entlang der Elster bis Leipzig. Fast schon hätten wir vergessen das man 520 Km auf dem Buckel hat, denn vor dieser Kulisse ist das Laufen wie in Trance gegangen. Hier ein Foto, da ein Gespräch (weil wir immer wissen wollten, was da für Gebäude stehen), nur freundliche Menschen, und wir sogen die Momente wie ein trockener Schwamm auf. Doch auf einmal holt es dich wieder ein, die Geisel der Menscheit, das Telefon. Jungs, legt einen Zahn, zu die Presse wartet auf euch, Kevins Stimme klang sehr erregt, denn während wir uns der Schönheit der Umgebung widmeten, hatten Mum und Kevin alle Hände voll zu tun. Mum, mit dem Riesen Brummer von Hymer in der Leipziger Innenstadt und Kevin am Handy, beim Gespräch mit Reportern und der Termin-Koordination. Also, zurück zur Mission "Walk To Berlin". In Leipzig angekommen, wartete schon ein sehr netter Moderator von RTL Radio und führte ein ausführliches Interview mit mir und Dad. Kaum war dieses vorbei, der nächste Radiosender, "Radio Mephisto" aus Leipzig mit einem Telefon-Interview und zum Schluß noch das Leipziger Volksblatt, ein Interview für die Zeitung. Mann, ich bin schon stolz und glücklich, dass sich die Presse so für uns interessiert. Auch weil es inzwischen längst um mehr geht, denn nach vielen Tagen und Kilometern ist aus dem festen Willen, den Ernst um einen Job zu beweisen, viel mehr geworden; das „Experiment Familie“, Abend für Abend auf engstem Raum im Wohnmobil, gibt einen weiteren, ganz eigenen Sinn, und wenn ich von den Fans, Musik- und Musiker-Freunden höre und lese, würde ich sogar für ihre und unsere Musik selbst laufen. Puh - aber zumindest ist es meine Liebe zur Musik und zu meinem Beruf, die mich vorwärts treibt. In meinem gestrigen Bericht erwähnte ich, dass Peter Hornung von den Renegades aus Erfurt eine Überraschung für mich hat, und wir waren alle sehr gespannt. Wir fuhren nach Eilenburg/Rothejane, und Peter empfing uns beim Berufsbildungszentrum der Mitteldeutschen Kaminkehrer e.V., wo er als Lehrkraft tätig ist. Peter, selbst Schornsteinfeger und viele seiner Kollegen in Uniform gaben uns die Ehre, Glück für unseren weiteren Weg (auch über Berlin hinaus) zu wünschen. Hey! Nomen est Omen hoffe ich, aber egal, wir alle haben uns riesig gefreut, wann hat man schon mal soviele Glücksbringer auf einmal. Wir wurden noch zu einer deftigen Brotzeit und ein paar Bier eingeladen (..merkt ihr was ? Man kennt uns schon...). Ich ließ mich nicht lange betteln und spielte für die ganze Truppe noch ein paar Songs auf der Gitarre. Leider mussten wir auch heute früh ins Bett, denn morgen wartet auf uns in Leipzig das Fernsehen für einen Drei-Stunden-Dreh, auf den ich mich jetzt schon freue. Außerdem will ich von dieser geschichtsträchtigen Stadt noch etwas sehen, wenn die Zeit reicht. Das heist aber auch, wir müssen morgen wieder Gas geben und die Zeit aufholen. Deshalb - gute Nacht Freunde, es ist Zeit für mich zu gehen. Glück ist Talent für das Schicksal. - Novalis |